Prolog
Du wachst auf. Orientierungslos, leer. Dein Kopf dröhnt, als wäre er in dichten Nebel gehüllt, und dein Körper fühlt sich an wie eine Hülle ohne Inhalt. Erinnerungen? Fehlanzeige. Alles ist dunkel und ruhig – bis auf das Wälzen deines Zimmergenossen, dessen Stimme durch die Stille schneidet.
„Schade, du hättest es weit bringen können, Y/N... Aber du musstest dich ja widersetzen. Alles hinterfragen. Alles anzweifeln, was die Großinquisitoren uns lehrten…“ Seine Stimme ist eine Mischung aus Frust und Bedauern.
„Wo… bin ich?“ Deine Kehle ist trocken, deine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Er dreht sich abrupt zu dir um. Seine Augen weiten sich.
„Wie kannst du noch bei Bewusstsein sein?“
Er sieht dich an, als hättest du einen Geist gesehen.
Die Luft in dem kargen Raum scheint schwerer zu werden. Deine Gedanken sind träge, doch tief in dir regt sich etwas – ein dumpfes Echo von etwas Vergessenem, etwas, das nicht mehr da sein sollte. Doch bevor eure Konversation weitergehen kann, passiert es. Ein lauter, metallischer Knall hallt durch den Korridor. Dann ein zweiter. Schritte – schwer und hastig. Die Wände beben. Plötzlich beginnt das Licht der Runen, die in die Wände eingraviert sind, hektisch zu flackern. Ein Alarm durchbricht die Stille, sein Kreischen hallt durch das Kloster der Hüter.
Dein Zimmergenosse erstarrt. „Nein… das kann nicht sein…“
Die Tür eurer Kammer wird abrupt aufgerissen, und eine Gestalt in schwarzer Robe stürzt herein. Sein Gesicht wird von einer Maske verdeckt, in die mehrere sich bewegende Augen eingearbeitet sind – rastlos, suchend. In seiner Hand hält er eine Bannrune, doch sein Atem ist schwer, hektisch.
„Der/die Seelenlose/r ist hier.“ Seine Stimme ist gepresst. „Die Barrieren sind gefallen. Ihr müsst—“
Seine Worte werden von einem unmenschlichen Kreischen erstickt.
Die Wände beben erneut, diesmal stärker, begleitet von einem Geräusch, als würden Dutzende von Ketten gesprengt. Dein Körper reagiert, bevor dein Verstand es begreifen kann.
Die Person dreht sich um, will die Tür versiegeln – doch eine unsichtbare Kraft reißt ihn von den Füßen. Ein dunkler Schatten schießt durch den Flur und Sekunden später fällt der Mann zu Boden, seine Robe leer. Wo eben noch ein Mensch war, bleibt nur Asche zurück. Panik erfasst deinen Zimmergenossen.
„Es kommt… es kommt…“ flüstert er atemlos, sein Blick starr auf das Nichts gerichtet.
Dein Herz rast. Was auch immer da draußen ist – du willst nicht so enden wie die Wache, die gerade in die Dunkelheit gezerrt wurde. Dann bricht das Chaos aus.
Ein markerschütternder Schrei hallt durch die Mauern, als ob die Steine selbst protestieren würden. Risse kriechen über die Wände, Staub rieselt von der Decke. Du hast nur Sekunden, um zu entscheiden. Die Treppe nach draußen? Durch herabgestürzten Schutt versperrt. Der einzige Weg ist nach unten.
Du stürzt durch die schmalen Korridore, hinab in die unterirdischen Tunnel. Die Luft wird stickig, feucht. Deine Schritte hallen auf dem kalten Stein, dein Atem geht stoßweise. Hinter dir – Schreie. Dann… Stille. Nur das Hämmern deines eigenen Herzschlags bleibt. Doch dann, Licht. Ein Funken Hoffnung durchbricht die Dunkelheit, als du das Ende des Tunnels siehst und du rennst, als gäbe es keinen Morgen. Die kalte Nachtluft schlägt dir entgegen, als du den Wald erreichst. Regen prasselt auf die Blätter, schwer und drückend. Doch er kann den Geruch nicht fortwaschen. Asche. Tod. Verzweiflung.
Du atmest tief durch. Ein Fehler. Der Gestank legt sich auf deine Lunge, brennt in deiner Kehle. Du willst weiterlaufen. Einfach nur fort. Doch dann –Ein Geräusch. Nicht das Heulen des Windes. Nicht das Knacken der Äste unter deinem Gewicht. Ein Stöhnen. Zögernd drehst du dich um – und dann siehst du es. Ein schwaches Leuchten durchbricht die Dunkelheit, blaugrün pulsierend wie eine langsam schlagende Herzflamme. Und dann erblickst du ihn. Ein elfenartiger Mann, schwer verletzt, an einen Baum gelehnt.
Seine Haut ist blass, Adern wie feine Linien aus Licht unter seiner Haut pulsierend. Er hält ein Buch in seinen Händen, ein seltsames, uraltes Ding mit einem in Gold eingeprägten Symbol, das in einem grünen Licht wie ein Herzschlag pulsierte. Er hebt den Blick. Seine Augen, voller Schmerz und Erschöpfung, treffen deine.
„Du da… schnell… wir haben keine Zeit…“
Du trittst vorsichtig näher und bleibst auch nicht lange unbemerkt. Doch da der Mann zu schwach war, um sich auf den Beinen zu halten, konntest du dir sicher sein, nicht auf Widerstand zu treffen. Er lehnte sich an einen Strauch, dessen Efeuranken ihn langsam zu umklammern begannen. Als du näher hinblicktest, konntest du sehen, dass der Körper dieses Mannes langsam zu Stein wurde – von den Füßen aufwärts, bröckelnd, zerfallend.
„Ich habe nicht viel Zeit wie du siehst…“ murmelte er und sein Blick wanderte zu dem Buch in seinen Händen.
Grünes Licht floss aus seiner Hand und ließ die Adern unter seiner Haut magisch aufleuchten. Er betrachtete dich für einen Moment, musterte dein Gesicht, als suche er nach etwas. Dann gab er ein kleines, fast frustriertes Lachen von sich.
„Natürlich treffe ich dich gerade jetzt…“
Du verstehst nichts von dem, was er sagt, doch du wurdest neugierig und versuchtest, ihm Gehör zu schenken.
„Nach all den Jahren, Dimensionen und Zeitlinien… musste es jetzt sein. Gerade du.“
Du sahst ihn skeptisch an.
„Ich habe dich gesucht, weißt du…“ sagte er und versuchte, sich nicht zu sehr zu bewegen, um die Versteinerung nicht schneller voranschreiten zu lassen.
„Ich kann dir nicht alles erklären. Nicht jetzt. Aber ich brauche deine Hilfe.“
Er beäugte das Buch in seinen Händen. „Leg deine Hand auf das Herz des Buches… bitte. Dann wirst du es verstehen.“
Du zögerst vorsichtig, doch kaum berühren deine Finger das pulsierende Herz des Buches, schießt ein fremdes, aber zugleich vertrautes Gefühl durch dich hindurch. Wärme breitet sich in dir aus, nicht unangenehm, sondern… lebendig. Dann kommt das Flüstern.
Leise, kaum mehr als ein Echo. Doch mit jedem Herzschlag wird es klarer. Und dann hörst du es.
„Hüter des verlorenen Wissens…die Ordnung, die du kanntest, hat dich von dir selbst getrennt. Doch du bist nicht verloren. Noch nicht.
Die Antworten, die dir verloren gegangen sind, sind tief in dir selbst verwurzelt und mit ihnen auch dein Schicksal.
Du stehst am Beginn einer Reise, die deine Seele und die von vielen anderen deiner Art heilen kann. Aber dazu musst du bereit sein zu suchen und dich zu erinnern.**
„Dies ist kein leichter Pfad.
Du wirst durch Schatten wandern, durch Stille, durch Sturm.
Doch mit jedem Schritt wächst dein Licht.
Mit jedem Schritt wächst deine Verbindung zu deinem Wyldheart erneut heran.<
Diese Seiten werden sich füllen, wenn du den Pfad beschreitest. Jedes Kapitel eine Erinnerung. Jeder Kodexeintrag ein Mosaikstein deiner Wahrheit. Jede Erkenntnis ein Teil deines Wyldhearts und deiner wahren Bestimmung.“
Ich bitte dich suchender. Lerne. Wachse. Sammle die Fragmente, die du verloren hast. Erkenne, wer du wirklich bist. Finde dein Wyldheart, erwecke es und erfahre die wahrheit, die du tief in dir trägst. Die Welt ist darauf angewiesen, du bist darauf angewiesen. Es ist dein Schicksal.
„Willst du es wissen?
Willst du zurückholen, was dir genommen wurde?
Willst du die Wahrheit?
Denn wenn du es erweckst… erweckst du dich selbst – und die wahre Macht, die in dir steckt.
Als du wieder zu dir kommst, fällt dein Blick auf den Elfenmann vor dir. Die Ranken, die ihn umklammert hatten, haben ihr Werk vollendet – sein Körper ist nun vollständig zu Stein erstarrt. Sein ganzes Leben lang hatte er dieses Buch beschützt.
Doch wer war er? Und was hatte das alles zu bedeuten?
Ein Gefühl zieht sich wie eine unsichtbare Klinge durch deine Brust – eine Mischung aus Ehrfurcht, Verlust und einer tiefen, unerklärlichen Verbundenheit.
Du weißt, dass dieses Buch nicht einfach hierbleiben kann. Es darf nicht in die falschen Hände geraten. Es braucht einen neuen Hüter.
Doch bist du bereit, dieses Schicksal anzunehmen – mit all den Geheimnissen, Herausforderungen und Wahrheiten, die es mit sich bringt?
Ein leises, schimmerndes Flackern in deinem Augenwinkel lenkt deine Aufmerksamkeit auf ein Portal, das sich in der Nähe geöffnet hat. Es wirkt instabil, als könnte es sich jeden Moment wieder schließen. Und dann hörst du es.
Schreie in der Ferne. Die Schatten, die dich verfolgten, sind noch nicht verschwunden. Der Tod, das Grauen – all das ist dir bereits dicht auf den Fersen. Deine Finger umklammern das Buch, und im selben Moment zerbröselt der Elfenmann zu feinem Staub, der sich lautlos auf dem feuchten Waldboden niederlässt. Doch wo seine Asche den Boden berührt, sprießen kleine, leuchtende Blumen – magische Überreste dessen, was er einst war. Du atmest tief ein. Es gibt kein Zurück mehr.
Mit einem letzten Blick auf den Ort, an dem dein Retter gefallen ist, drehst du dich um – und rennst. Dem Portal entgegen. Deinem Schicksal entgegen.
Bereit, die verlorenen Fragmente deiner selbst wiederzufinden.
Bereit, deine wahre Kraft zu erwecken.
Bereit, die Geheimnisse dieser Welt zu entschlüsseln – und deine eigene.