Abschnitt 9 - Im Auge des Sturms
Community Entscheidung Abschnitt 8
🔹 Du widmest dich den Visionen, schreibst sie nieder, analysierst jedes Detail und suchst nach Zusammenhängen. Vielleicht liegt der Schlüssel schon in dem, was du gesehen hast.
Deine Gedanken wirbelten wie ein wilder Tornado durch deinen Kopf. Kaum war Eldwyn verschwunden, spürtest du die Unruhe in dir, die ihre sanfte, reine Energie nur schwach dämpfen konnte. Du beschließt, deine Visionen niederzuschreiben, bevor sie durch weitere Studien oder künftige Ereignisse, die vielleicht eintreten könnten, wieder verblassen. Doch bevor du den ersten Schritt machen konntest, wurdest du aufgehalten.
“Hey, alles in Ordnung?” hörtest du deine Mitschülerin besorgt fragen, die du mit deiner Gruppe in der Bibliothek zurückgelassen hattest.
“Du warst plötzlich weg,” sagte sie nach einer kleinen Pause. “Aber nachdem, was mit dem Kristall passiert ist, kann man es dir nicht verübeln. Das sah wirklich schmerzhaft aus.”
Du nicktest nur stumm. Die Schmerzen lasteten noch immer schwer in deinen Gliedern, wie ein Winter, der tief in die Knochen kriecht.
“Wir haben das Rätsel gelöst,” fuhr sie fort, während sie sich leicht zu dir vorbeugte. “Und keine Sorge, wir haben für dich gebürgt. Ich glaube kaum, dass man nach so einem Spektakel bei dieser Aufgabe durchfallen würde. Zumal Lady Noctara sich auch noch um dich gekümmert hat.”
Du wolltest nicht unhöflich sein, doch ein Teil von dir wollte dieser Unterhaltung entkommen. Nicht nur die Unruhe in dir machte dir zu schaffen; da regte sich etwas, dem du nicht begegnen wolltest.
“Du hast recht. Mir geht es nicht gut. Ich würde mich gerne zurückziehen. Wir sehen uns morgen,” sagtest du und blicktest in ein verständnisvolles Gesicht, das dir mit einem sanften Lächeln den Abschied signalisierte.
“Natürlich! Ruh dich aus, bis morgen.”
Mit diesen Worten machtest du dich mit schnellen Schritten auf den Weg zu den Schlafsälen. Doch jeder Schritt, jedes Geräusch, selbst das Licht der Fackeln, schien das ungewohnte Gefühl in dir nur noch zu verstärken. Es war, als würde dein Körper von außen erstarren, während von innen etwas heranwuchs, das nicht zu dir gehörte.
Du begannst zu rennen. Die Schlafsäle waren nicht mehr weit, doch bevor du sie erreichtest, zuckten Bilder wie grelle Blitze vor deinen Augen.
Du hältst abrupt an, greifst nach der Tür deines Gemachs und bist kurz davor einzutreten, als plötzlich ein kindliches Kichern in deinen Ohren liegt. In deinem Augenwinkel glaubst du, eine bläulich durchscheinende Gestalt zu erkennen.
“Ich habe keine Zeit für sowas,” denkst du, um dich von dem Gedanken an Geister abzulenken – das würde dir gerade noch fehlen.
Du öffnest die Tür, trittst ein und spürst eine Hand auf deiner Schulter. Plötzlich befindest du dich in völliger Dunkelheit. Alles ist still, und dein Körper fühlt sich an wie eine leere Hülle. Dann durchdringen die Schreie erneut deine Ohren – dieselben, die du schon bei der Berührung mit dem Kristall gehört hattest. Bis auf ein kleines, blaues Licht in der Ferne ist alles von Schatten verschluckt.
Ein Teil von dir will zu diesem Licht, doch dein Körper ist steif, angewurzelt, fast gefangen, als würden unsichtbare Ketten dich zurückhalten. Die Schreie kehren zurück, und mit ihnen ein Schmerz, der sich bis in jede Gliedmaße brennt. Dein Körper droht unter ihrer Last zu zerbrechen.
Du krümmst dich, der Schmerz wird intensiver, unerträglich. Unter deiner Haut erscheinen plötzlich blaue, leuchtende Adern, die sich langsam ausbreiten, während Dunkelheit sie Stück für Stück überdeckt.
Dann – abrupt – endet der Schmerz. Dein Körper löst sich aus der Starre, deine Lungen füllen sich wieder mit Luft. Alles, was du wahrnimmst, ist der kalte Boden deines Gemachs und eine leise, beruhigende Melodie, die dich sanft umfängt.
Langsam öffnest du die Augen und erblickst ein schimmerndes Licht, das in unzähligen Farben flackert und dessen Bewegung eine harmonische Melodie erzeugt. Dein Körper entspannt sich allmählich, während das Licht sich näher bewegt. Es nimmt die Gestalt eines Irrlichts an – eines Luxorba.
Du hattest schon von ihnen gehört: Irrlichtwesen und Begleiter der Seelenflüsterer. Ihre Gabe war es, starke Gefühle und Empfindungen zu erspüren, was sich in ihrer changierenden Farbe zeigte, und diese Emotionen zu filtern oder zu lindern, wenn sie für den Träger zur Last wurden – meist auf eigene Kosten. Manchmal waren die Gefühle so überwältigend, dass manche Luxorba Wochen, Monate oder gar Jahre brauchten, um sich davon zu erholen.
Die Luxorba waren sanft, und ihre Melodie, die durch die Bewegung ihrer Ausläufer entstand, berührte die Seele eines jeden Wesens. Sie klang wie ein leises Flüstern von Wind über Wasser, gefolgt von sanftem Glucksen, dann stieg sie in helle, klare Töne, die wie Sonnenstrahlen die Luft durchzogen, und fiel wieder in tiefe, warme Resonanzen, die den Körper umspülten. Die Töne schienen deine eigenen Schmerzen und Ängste zu wiegen, sie Stück für Stück zu nehmen und in stille Freude zu verwandeln. Dieses Wesen trug die Last deiner Qualen, als wären sie nichts.
“Danke,” flüsterst du, und siehst, wie sich die Farbe des Luxorba in ein warmes Gelb verwandelt, begleitet von munteren, hellen Klängen, die Freude ausdrücken. Doch bevor du dich weiter mit ihm unterhalten kannst, verdunstet es wie eine Wolke und lässt dich allein zurück.
Für einen Moment sitzt du auf dem kalten Boden. Du musstest dich sammeln und Kraft schöpfen, um zu deinem Schreibtisch zu gelangen.
Eines war sicher: Dieses Erlebnis musstest du Eldwyn erzählen. So etwas wolltest du nie wieder durchleben. Vielleicht war es eine Nachwirkung, vielleicht eine Verbindung zu den Energien des Kristalls. Was es auch war – es jagte dir Angst ein. Tränen liefen über dein Gesicht, die Phantomschmerzen dieser Vision lasteten schwer in deinen Knochen.
Dieser Tag war zu viel des Guten, und eigentlich wolltest du nur noch in dein Bett. Die hohen Säulen und geschwungenen Decken ließen dich schwindeln, als würden die Sternenbilder an der Decke dich in den Kosmos ziehen. Alles drehte sich, und du beschließt, noch einen Moment auf dem Boden zu bleiben, der dir Halt gab, den du nach diesem Visionenritt dringend brauchtest.
Mit zitternden Händen greifst du nach dem weißen Stuhl deines Schreibtisches und ziehst dich Stück für Stück hoch. Es tut gut, auf dem weichen blauen Leder zu sitzen und dich an deinem Schreibtisch abzustützen. Ein Schluck Wasser beruhigt dein System, und du greifst nach der Schreibfeder, die schon auf einem Blatt Papier liegt.
Die Erinnerungen fluten zurück, und als du zu schreiben beginnst, fühlst du dich wie in einem Tunnel gefangen. Nicht einmal deine Mitbewohnerin, die sich bettfertig macht, kann zu dir durchdringen. Die ganze Nacht schreibst du ununterbrochen, fast besessen, bis deine müden Augen den Kampf verlieren und du mit dem Kopf auf dem Schreibtisch in Schlaf und Erschöpfung versinkst.
