Abschnitt 10 - Das schwarze Pergament
Community Entscheidung Abschnitt 9
🔹 Deine Visionen konfrontieren, aufschreiben und analysieren. | Was steckt dahinter?
Ein neuer Tag brach an, und die Sonne schob ihre ersten goldenen Finger durch die dunkelblauen Vorhänge in dein Gemach, um sich wärmend auf deinem Gesicht auszuruhen. Das helle Licht schnitt durch deinen Schlaf wie eine sanfte, aber unerbittliche Klinge und zwang dich förmlich dazu, in den Tag zu starten. Den ersten Schultag hattest du zwar überstanden, doch die Ereignisse lagen dir noch immer schwer in den Knochen, als hätten sie sich dort festgesetzt. Dein Körper schmerzte nicht nur, weil du am Vorabend an deinem Schreibtisch eingeschlafen warst, sondern auch wegen der Strapazen der Nacht, die dich bis in die Knie gezwungen hatten.
Als du deinen Körper langsam in alle Richtungen ausdehnst und Stück für Stück zu dir kommst, wandert dein Blick aus dem Fenster hinaus in den Innenhof der Akademie. Dort tummelten sich die Schüler wie farbige Tupfer in der winterlichen Kulisse, während der Schnee sich lautlos wie eine schützende Decke auf die weißen Steine legte.
Die letzte Nacht kroch dir erneut in die Gedanken. Der Besuch des Luxorbas, das dir deine Schmerzen nahm. Die Bilder, die wie Blitze vor deinem inneren Auge aufleuchteten. Das Lachen des Kindes, so fehl am Platz und doch so klar. Die blauen Adern, die unter deiner Haut hervorgekrochen waren wie fremde Wurzeln. Und dieser alles verzehrende Schmerz, der sich jeder Beschreibung entzog. Deine Arme umschlingen deinen Bauch, so wie sie es in jener Nacht getan hatten, denn die Schmerzen hallten noch immer in dir nach, wie ein Echo in einer tiefen Schlucht, das selbst mit der Zeit nicht verstummen wollte.
Vielleicht würden die Ereignisse heute mehr Sinn ergeben. Vielleicht könntest du einen Hinweis finden, der dir und Eldwyn helfen würde, dieses wirre Geflecht aus Visionen und Empfindungen zu entwirren. Du eiltest zurück zu deinem Schreibtisch, als würde er Antworten verbergen, und erstarrtest für einen Moment, als deine Augen das Pergament überflogen. Kritzeleien, Zeichnungen, hastige Notizen. Ein chaotisches Spiegelbild deines Geistes. Eine Zeichnung zeigte eine ungewöhnliche Apparatur, einen fremdartigen Mechanismus, während die dazugehörigen Notizen in einer Sprache verfasst waren, die du nur aus alten Büchern kanntest. Tehând, die längst vergessene Sprache Anantharas und die der Götter selbst. Niemand sprach sie mehr, abgesehen von vereinzelten Worten oder Begriffen, die älter waren als die meisten Reiche. Deine Augen wanderten weiter zu Zeichnungen von Kristallen, dem Mond und dem Portal, bis sie an einer Seite Pergament hängen blieben, die vollständig in tiefes Schwarz getaucht war, als hätte die Dunkelheit sie verschluckt. Alles fühlte sich an, als würde es auf Antworten hindeuten, vielleicht sogar auf eine Prophezeiung, wie sie in den alten Büchern beschrieben wird. Doch wenn die letzte Seite nur Schwärze zeigte, was bedeutete das. Etwas Verborgenes oder eine unausweichliche Katastrophe.
Panik regte sich in dir, kroch dir die Kehle hinauf und ließ dein Herz schneller schlagen. Nichts davon ergab Sinn, und doch gebar jeder Gedanke nur neue Fragen, neue Angst und ein wachsendes Unwohlsein. Du hattest in dieser Akademie ein neues Leben beginnen wollen. Dein Thal’ithara erwecken, deinen Abschluss machen und dann wieder deiner Wege ziehen. Kaum war der erste Tag vorüber, warst du Teil eines Abenteuers geworden, das du dir niemals selbst ausgesucht hättest. Natürlich hattest du dich darauf gefreut, über die Rätsel und Geheimnisse dieser Akademie zu sinnieren und sie zwischen den Stunden zu erkunden. Doch nie hättest du dir vorstellen können, in etwas so Gravierendes hineingezogen zu werden. Es war zu viel. Deine Hände wurden feucht, dein Körper begann zu zittern und dein Atem stockte, als hätte er vergessen, wie man seinen Weg durch dich findet.
Dann erklang plötzlich wieder diese vertraute Melodie. Sanft und beinahe tröstend. Du spürtest, wie sich die Anspannung in deinem Körper löste, als würde jemand behutsam eine schwere Bürde von deinen Schultern heben. Das Luxorba hatte sich erneut an deine Seite gesellt, um deine Last mit dir zu tragen, zumindest für diesen kurzen Moment. Eine Erleichterung, denn noch mehr Aufregung hättest du kaum ertragen können. Diese kleinen Irrlichtwesen aus der Nähe zu betrachten, war jedes Mal ein Wunder. Man sagt, sie erscheinen in Zeiten der Not, um einen Teil der Last zu übernehmen und bei den Emotionen zu verweilen, damit man nicht von ihnen fortgerissen wird. Normalerweise begleiten sie Seelenflüsterer, doch manchmal zeigen sie sich auch jenen, denen es schwerfällt, Gefühle zu verstehen oder einzuordnen. Dann werden die Luxorba zu stillen Übersetzern des Herzens. Ein leises, magisches Ereignis, das dir gerade mehr als recht kam.
Du atmest tief durch und versuchst mithilfe deines kleinen neuen Freundes, deine Gedanken zu ordnen. Eines war sicher. So sehr du es auch verleugnen wolltest, es war besser, der Wahrheit ins Auge zu sehen, als vor ihr davonzulaufen. Du warst Teil davon. Und mit Eldwyn an deiner Seite bestand zumindest die Möglichkeit, wieder einen Ausweg zu finden. Fokus und Konzentration. Vielleicht war dies sogar deine Chance, mehr über dich selbst und deine Fähigkeiten zu lernen. Zumindest redetest du dir das ein, um nicht vollends den Halt zu verlieren.
Dein Blick fällt erneut auf die Notizen. „Okay, was habe ich übersehen?“, murmelst du und lässt deine Augen über das wirre Gekritzel gleiten. Das Portal hattest du bei der Einführung gesehen. Der Kristall war unmöglich zu übersehen, ebenso wenig wie die unzähligen kleinen Kristallsplitter, die sich in der Stadt ausbreiteten wie wildes Unkraut. Doch die Gerätschaft war dir fremd. Du hattest sie nirgends auf dem Gelände gesehen. Vielleicht verbarg sie sich in den Archiven. Der Kern wirkte pulsierend, beinahe lebendig. Oder hatte sie etwas mit den Schreien zu tun. In der Zeichnung schimmerte ein Hauch von Blau, der dich unweigerlich an den blauen Schein deiner Vision erinnerte. Was, wenn diese Visionen kein Zufall waren, sondern nur für dich bestimmt. Vielleicht trugen sie ein Geheimnis in sich, das in den falschen Händen tödlich sein konnte. Eldwyn war mächtig, doch selbst sie stand erst am Anfang. Mit ihrer Hilfe könntest du die Visionen vielleicht gezielt auslösen und schneller Antworten finden. Oder sie hielt Dinge zurück. Was wusstest du wirklich über sie, außer dass sie sich nachts mit anderen Schülern in der Bibliothek traf und eine außergewöhnlich begabte Magierin war?
Deine Gedanken wirbelten durcheinander wie Schnee im Sturm. Wem konntest du vertrauen? Wie viel Vertrauen war möglich, ohne dich selbst in Gefahr zu bringen. Vielleicht war es klüger, zunächst allein mehr herauszufinden. Ob du die Einzige mit diesen Visionen warst. Was sie bedeuteten und vor allem, was sie für dich bedeuteten.
Das Portal war dein erster Anhaltspunkt. Ebenso die verlorene Sprache. Die Zeichen zu übersetzen und sie eins zu eins zusammenzuführen, würde allein ein großer Aufwand sein. Vielleicht war es aber auch der sicherste Weg. Ein Weg, der dir später mehr Möglichkeiten eröffnen würde, abzuwägen, wem du dein Vertrauen schenkst
Entscheidungsmoment:
🔹Gehe mit den Skizzen und Vermutungen, die du hast, zu Eldwyn und erzähle ihr von den Geschehnissen.
🔹Du beschließt, zuerst selbst Nachforschungen anzustellen, beginnend beim Portal, und behältst die Geschehnisse und Skizzen vorerst für dich.
